Motivation zum Vergeben

Seid aber zueinander gütig, mitleidig, einander vergebend, wie auch Gott in Christus euch vergeben hat!

Epheser 4,32 


Herr, wie oft soll ich meinem Bruder, der gegen mich gesündigt hat , vergeben? Bis sieben mal?

Jesus spricht zu ihm (uns allen!) Nicht bis sieben mal, sage ich dir, sondern bis siebzig mal sieben.

Matthäus 18,21-22 (lies bis Vers 35)


Wenn man einmal versucht, die Werte in diesem Gleichnis, anhand der Angaben aus dem Gleichnis der Arbeiter im Weinberg (Mt 20,2) und den ungefähren Werten der Masse der damaligen Zeit,  zu übertragen auf unsere Zeit, dann erhält man folgenden Vergleich: 10’000 Talente entsprechen etwa 300’000 Jahre arbeiten zu einem heutigen Tagelöhner- oder Handlangerlohn. 100 Denare ist schlicht 100 Tage arbeiten. Wenn wir nun diese beiden Zahlen in ein Verhältnis zueinander stellen, zeigt sich, dass die Schuld der 10’000 Talente ungefähr 690’000 mal grösser ist als die Schuld der 100 Denare. Das sind natürlich Annäherungswerte. Aber es geht ja auch nicht um mathematische Exaktheit. Und es ist auf jeden Fall eine riesige Zahl! 

Wir fragen: Warum benutzte der Herr diese Zahlen? Nun, klar ist: Er tat es mit einer Absicht! Er wollte einerseits die unermessliche Schuld von uns Menschen vor unserem Schöpfergott in eine begreifbare, aber dennoch unvorstellbare Zahl fassen und daneben die, sehr viel geringere, zwischenmenschliche Schuld stellen. Und Er tat es, um uns eine Vergleichsbasis und einen Beweggrund zu geben, wenn wir einem Mitmenschen oder Mitchristen, der an uns schuldig geworden ist, vergeben sollten.

Aber um es vorwegzunehmen: die zwischenmenschliche Schuld ist zwar auf jeden Fall viel kleiner und nicht zu vergleichen mit der Schuld vor Gott - aber 100 Tage arbeiten sind keine Kleinigkeit. Die Schuld ist da und sie wiegt schwer, es tut weh und jemand muss sie begleichen. Kein Wunder, stellte Petrus seine (provozierende?) Frage. Der Herr sagt ihm, bis siebzig mal sieben sollen wir einander vergeben. Das ist ja wie eine Rechenaufgabe und es ergibt 490 Mal. Wieviele Male müsste ich meinen Bruder 100 Denare Schuld vergeben um an die 10’000 Talente heranzukommen die Gott mir vergeben hat? 690’000 Mal. Sind da 490 Mal viel oder wenig? 

Aber der Herr stellt nicht Rechenaufgaben, die wir lösen sollen, um dann zu wissen, 490 Mal vergeben und dann ist aber Schluss. Und das ist auch so bei den Talenten und Denaren im Gleichnis. Und doch hilft es uns Christen manchmal, sich diese Relationen einmal zu vergegenwärtigen. Denn gleichen wir nicht allzu oft dem bösen Knecht, und glauben, gute Gründe zu haben, unseren Mitmenschen unsere Vergebung vorzuenthalten??

Gott erwartet von den Seinen, dass sie handeln, wie ER gehandelt hat. ER hat uns gerne, sofort und völlig vergeben, als wir mit unserer Sündenschuld zu IHM gekommen sind. Ja, ER hat selbst bezahlt, damit ER uns vergeben konnte, indem ER seinen eigenen Sohn hingab auf Golgatha und Ihn, den einzig Sündlosen, den Sohn seiner Liebe bezahlen liess in der Hingabe Seines Lebens in den Tod. 

So hat Gott uns vergeben! So möchte ER, dass seine Kinder vergeben. Es ist die Weitergabe der reichen Gnade Gottes, die wir selbst in diesem unfassbaren und unvergleichlichen Mass erfahren haben. Es ist das Privileg dessen, der reich gemacht worden ist durch die Gnade Gottes, diese anderen zu erweisen.


Wenn Christen einander nicht mehr vergeben können, wer auf dieser Erde soll es dann können??

Und wenn wir einander nicht einmal die 100 Denare vergeben können oder wollen, was tun wir dann, wenn einmal etwas wirklich Tragisches passiert?

Leben wir nicht täglich aus der Vergebung unseres himmlischen Vaters? Und ist nicht unser ganzes Christsein gegründet auf der Vergebung dieser 10’000 Talente? 

Wenn wir nicht vergeben wollen, nachdem wir solche reiche Gnade erfahren durften, oder Bedingungen stellen, oder Genugtuung fordern, dann handeln wir wie der böse Knecht. Dann sagen wir eigentlich, dass in unseren Augen unsere Schuld vor Gott geringer ist als die Schuld meines Bruders gegen mich. 


Warum fällt es uns so schwer, einander zu vergeben?


Wer wirklich die Gnade Gottes für sich und seine 10’000 Talente verstanden hat, zutiefst in seinem Herzen, der fordert keine Vergeltung für 100 Denare! Der ist bereit mit Freude seinem Bruder zu vergeben!


Der böse Knecht im Gleichnis ist ein Mensch, der die Gnade nur äusserlich angenommen hat! Keinem der die ewige Vergebung Gottes bekommen hat durch den Glauben an den Opfertod des Herrn Jesus wird diese je wieder genommen werden (Heb. 10,17). In der Anwendung sehen wir aber sehr wohl, wie es im Blick auf unser Leben auf der Erde bitter werden kann, wenn wir uns weigern, anderen zu vergeben.


Vergeben bedeutet Erlassen der Schuld. Es bedeutet nicht vergessen. Es ist kein Gefühl! Es ist eine Entscheidung, den anderen aus der Schuld zu entlassen. Wenn man vergeben hat, gräbt man eine Sache nicht mehr hervor, um sie dem anderen vorzuwerfen. Unsere Gefühle mögen weit hinterher hinken, aber sie werden dieser bewussten Entscheidung, Gnade zu erweisen, folgen! Vergeben bedeutet auch nicht automatisch Versöhnung, bzw. Wiederherstellung von einer Beziehung. Je enger eine Beziehung ist und je gravierender die Sünde gegen den anderen, umso mehr Zeit wird es brauchen um eine Beziehung wiederherzustellen. Dennoch ist Vergeben der erste Schritt auf diesem Weg. 


2/2024