Gedanken zur praktischen Ausübung der Autorität in einer örtlichen Versammlung
Gedanken zur praktischen Ausübung der Autorität in einer örtlichen Versammlung
Wie handhaben wir Angelegenheiten, die eine örtliche Versammlung zu beurteilen und wo sie eine Entscheidung zu fällen hat? Für die Aufnahme in die praktische Gemeinschaft und ggf. für den Ausschluss? Oder ganz allgemein, in irgendeiner Sache zwischen Geschwistern. (vergl. 1.Kor 6,4)?
Es ist fundamental wichtig, gemäss Gottes Wort zu handeln. Wir sind allzu schnell dabei, mit bloss menschlichen Gedanken, Urteilen und Lösungen zu agieren.
Lasst uns einige Punkte aus der Schrift nennen:
Gemäss Mt 18,15-17 muss eine Sache zwischen Brüdern oder Schwestern zuerst zwischen den direkt Betroffenen bereinigt werden. Erst wenn das nicht möglich ist, geht es einen Schritt weiter. Es ist von ausserordentlicher praktischer Bedeutung, dass wir immer zuerst versuchen, persönlich mit demjenigen zu sprechen, der uns Unrecht getan hat. Wenn wir sofort alles in der Öffentlichkeit bereinigen wollen, werden wir den Bruder höchstwahrscheinlich nicht gewinnen. Wie oft versagen wir darin, Unrecht im kleinen Kreis zu bereinigen.
Der nächste Schritt ist ein Hingehen mit Zeugen. Es scheint einzuleuchten, dass dies Augen-Zeugen für das Unrecht sind, das der Bruder getan hat. Natürlich können sie auch die Uneinsichtigkeit des Bruders bezeugen. Aber wenn es keine Augenzeugen gibt, steht unter Umständen einfach Aussage gegen Aussage. Wem soll man dann glauben? Man kann dann eigentlich nichts mehr tun und muss auf den Herrn warten.
Der weitere Schritt ist, die Sache der Versammlung vorzustellen. Das mag via Brüderstunde gehen, aber eine sogenannte Brüderstunde ist nicht die Versammlung! Wenn der Bruder auch auf die Versammlung nicht hört, die ihm das, durch zwei oder drei Zeugen bezeugte Unrecht, vorstellt (Frage: wird das überhaupt getan?), dann hat der Bruder oder die Schwester, dem das Unrecht angetan wurde, das Recht und die Pflicht, jenen Bruder oder Schwester, in seiner persönlichen Beziehung zu ihm, zu meiden.
Zum Vers 17 ein Zitat von JND:
"Es handelt sich hier nicht um Versammlungszucht. Es kann sein, dass der Schuldige ausgeschlossen werden muss. Aber was der Herr hier regelt, ist das Verhalten dessen, der das Unrecht erlitten hat. Das erste Ziel ist, den fehlbaren Glaubensbruder zu gewinnen. Wenn dies nicht gelingt darf man nicht mehr selbst als Richter in eigener Sache handeln. Sowohl die Tatsachen als auch die verkehrte Einstellung müssen durch solche bestätigt werden, die kein Interesse daran haben, in dieser Sache ihre Sicht geltend zu machen." (Das Matthäusevangelium, J.N.Darby, Beröa-Verlag)
Es kann sein, das je nach Unrecht in einem nächsten Schritt die Versammlung handeln muss. Das heisst - gemäss der Autorität, die der in ihrer Mitte gegenwärtige Herr ihr gegeben hat - das Unrecht an den Schuldigen zu binden oder eben, wenn er einsichtig und bussfertig ist, zu lösen und zu vergeben (1.Kor 5,2.13; 2.Kor 2,5-7).
Es ist ohne Zweifel so, dass der Herr hier in Matthäus 18 von schwerwiegenden Sünden spricht, die, ohne Überredung und Lobbying, jeder als solche erkennen kann! Vielleicht sollten wir uns eher zuerst einmal an die Anweisung aus Lukas 17,3-4 halten um ein Unrecht zwischen Brüdern und Schwestern zu regeln!
eine örtliche Versammlung ist kein Gerichtshof – selbst wenn jemand ausgeschlossen werden muss. Konkret bedeutet dies, dass man sich als Versammlung tief beugt und demütigt und sich eins macht mit der geschehenen Sünde (1.Kor. 5,2; 2.Kor 7,11; 3.Mos 6,19). Nur dann hat sie die moralische Fähigkeit, gegen das Böse mit aller Entschiedenheit zu handeln und sich durch das Hinaustun des Bösen zu reinigen.
Gerade im Zusammenhang mit dem Binden und Lösen der örtlichen Versammlung, gibt der Herr eine spezielle Verheissung fürs Gebet. Wenn die zwei oder drei oder mehr in so einer Sache einmütig den Willen des Herrn suchen, wird Er zu Hilfe kommen. Tun wir das wirklich und von Herzen? Oder ist es eine angeordnete Formalität? Aber wie oft sind wir darin einmütig? Und wie gross ist die Gefahr, durch viel Reden die anderen "auf unsere Seite zu ziehen". Das aber verhindert nur, dass der Herr wirken kann. Wir halten viel zu viel von uns selbst und reden und wirken selbst und eigenwillig und pfuschen so dem Herrn immer wieder drein. Warum haben wir so wenig Vertrauen und Geduld um auf IHN zu warten.
Jede Sache muss durch zwei oder drei Zeugen bestätigt sein (Mt 18,16; 2.Kor 13,1; 5.Mose 16,19). Aber bedenken wir, Zeugen müssen glaubwürdig sein (1.Kön. 21,13)! Nicht jeder ist automatisch ein zuverlässiger Zeuge!
In jedem Fall muss die Seite der betroffenen Person angehört werden (Joh 7,51).
Nie darf die Person "angesehen werden" (Jak 2,1-4; 3.Mose 19,15; 5.Mose 1,17). Nie dürfen wir ein Urteil abschwächen oder verschärfen je nachdem, wen wir zu beurteilen haben.
Es ist nicht immer die Mehrheit, die Recht hat! (2.Mose 23,2). Wenn ungerecht und unbiblisch geurteilt wird, dürfen wir unsere Stimme nicht dazu geben.
Unmöglich kann ein Bruder, der eine Klage gegen einen anderen hat, gleichzeitig Kläger, Beurteiler und Richter sein. Ebenfalls sollten Gläubige, die eine enge Beziehung zum Betroffenen haben, sehr zurückhalten sein im aktiven abgeben von einem Urteil. Die Tatsache, dass wir befangen sein können ist real, wird aber oft sehr unterschätzt (1.Sam 8,1-3; Apg 15,37; Kol 4,10; vgl. auch Joh 5,30).
Jede Sache muss ausreichend deutlich sein. Nie darf aufgrund von Vermutungen, Voreingenommenheit, Verdacht, Indizien usw. gehandelt werden. Wenn wir wirklich vor dem Herrn sind, wird Er es zu Seiner Zeit deutlich machen. Vielleicht kann Er eine Sache auch erst dann deutlich machen, wenn Er andere Dinge, die die ganze Versammlung betreffen, ins Licht Gottes gestellt hat (Jos 7,2.3.6.10.18). Wenn wir unsicher sind, müssen wir ebenfalls auf den Herrn warten (4.Mos 15,32-35).
Wenn eine Versammlung handelt, muss das "Gewicht" der Gläubigen eine Überzeugung in der Sache haben – das braucht Sorgfalt und Zeit (vgl. 3.Mos 13,4-6; 14,37-38ff). Nie darf man Druck ausüben, um ein Entscheidung zu erzwingen! Wenn in einer Versammlung keine Einigkeit besteht, kann sie nicht handeln – sie muss auf den Herrn warten. Vielleicht können, je nach Schwere der Sache, auswärtige Brüder oder andere Versammlungen helfen.
Wenn aber eine Sache offenbar und/oder öffentlich bekannt ist, wenn sie bezeugt ist und so schwerwiegend, dass auch die Welt Anstoss nehmen würde (1.Kor 5,1), muss unverzüglich gehandelt werden. Jede unnötige Verzögerung wäre ein Verhindern, "das ihr rein seid an der Sache" (2.Kor 7,11). Falls eine Versammlung sich weigert zu handeln, macht sie sich eins mit der Sünde!
Nie darf über das Gewissen der Geschwister geherrscht werden, indem man von ihnen fordert oder sie zwingt, dieselbe Überzeugung in einer Beurteilung zu haben, wie "das Gewicht" der Versammlung, oder schlimmer wie die Brüder, die überzeugt sind, in einer Sache klar zu sehen.
Schwestern dürfen nicht übergangen werden oder vor vollendete Tatsachen gestellt werden, die sie nur noch abnicken können. Es ist auf jeden Fall die Versammlung, die handelt; das heisst, die versammelten Geschwister an einem Ort, die am Brotbrechen teilnehmen. Wir sollten sehr darauf achten, dass dies auch im äusseren Ablauf eines Versammlungsbeschlusses sichtbar wird.
Wenn ein einzelner eine andere Überzeugung hat, soll er sich unter den Beschluss stellen, ausser wenn offenbar Unrecht gehandelt wurde. Dann darf und sollte er/sie mit vertrauenswürdigen Brüdern einer anderen örtlichen Versammlung sprechen.
Ein Binden und Lösen der Versammlung ist grundsätzlich im Himmel anerkannt. Dies hat Auswirkungen auf den ganzen Leib Christi. Dass bedeutet, dass grundsätzlich alle Christen dieses Binden oder Lösen respektieren. Praktischerweise gilt natürlich vor allem für jene, die sich ebenfalls befleissigen, die Einheit des Geistes zu bewahren im Frieden (Eph 4,3).
Auf der anderen Seite hat grundsätzlich jede Versammlung oder Bruder das Recht - ja sogar die Pflicht - Fragen zu stellen, falls berechtigte Sorge da ist, dass eine Versammlung eine falsche Entscheidung gefällt hat. Es widerspricht eindeutig der Wahrheit des einen Leibes und dem Bewahren der Einheit des Geistes, wenn man "Einmischung" kategorisch ablehnt.
Wenn offensichtlich eine Versammlung verkehrt gehandelt hat, MUSS sie dies korrigieren, denn nie wird der Himmel, und nie dürfen andere örtliche Versammlungen, sich mit etwas Verkehrtem auf die Dauer einsmachen. Eine solche Korrektur muss verbunden sein mit tiefster Demütigung, denn man hat beansprucht im Namen des Herrn zu handeln. Wir alle können irren oder aus irgendwelchen fleischlichen Gründen verkehrt handeln, aber welch eine Verunehrung des Namens des Herrn, wenn eine Versammlung verkehrt handelt und dies bleibt bestehen.
Wir handeln im Namen des Herrn. Allein dies sollte uns sehr vorsichtig sein lassen und nicht "unsere Ehre" mit der Ehre des Herrn verwechseln.
Ein Ausschluss ist nicht ein Mittel in der Hand der Versammlung, um einen Bruder oder Schwester zur Einsicht und Busse zu bringen (oder zu zwingen). Gott mag es benutzen, um einen Fehlbaren zur Busse zu bringen. Aber für die Versammlung ist es schlicht das, was sie tun muss, um sich als Rein zu erweisen im Blick auf die Sünde eines Bruders oder Schwester, wenn jedes Mittel, um den Fehlbaren zur Einsicht zu bringen, vergebens war oder wenn es eine gravierende Sünde ist- denn Gottes Haus geziemt Heiligkeit!
Wenn eine Versammlung meint, ein Ausschluss sei ein Mittel in ihrer Hand um Busse zu bewirken, irrt sie sehr und das Instrument des Ausschlusses wird verkommen zu einem Mittel des versammlungs-politischen Machtmissbrauchs!Ein Ausschluss ist ein massiver Eingriff in das Leben eines Gläubigen. Fast jeder Aspekt seines Lebens ist davon betroffen. Sein soziales Leben, die Kontakte zu den Mitchristen und zu gläubigen Verwandten. Je nach Umfeld ist auch seine Berufsarbeit betroffen. Die Versammlungsstunden können nicht mehr auf dieselbe Weise besucht werden. Das Leben eines Ausgeschlossenen wird extrem einsam. Wenn der Ausschluss gerechtfertigt und biblisch begründet ist, wird der Herr diese Umstände benutzten, um den Unbussfertigen zur wahren Herzensumkehr zu bringen. Aber wenn dieser massive Eingriff nicht gerechtfertigt ist, kann so das Leben eines Bruders oder einer Schwester für den Christus, gestorben ist, zerstört werden. Es muss einem Bruder oder einer Schwester, die offensichtlich zu Unrecht oder aus zweifelhaften Gründen ausgeschlossen wurden schon fast zynisch erscheinen, wenn ihnen einfach gesagt wird, beuge dich darunter, der Herr wird dir zu Hilfe kommen, OHNE das Brüder aktiv werden und in der entsprechenden Versammlung vorsprechen, damit die Sache korrigiert wird.
Gott hat im Gesetz sehr grosses Gewicht darauf gelegt, dass keine willkürlichen, persönlich motivierten oder politischen Urteile gefällt wurden. Alles musste gründlich untersucht, deutlich, offenbar und bestätigt sein. Jede Sache musste ausreichend bezeugt sein. Die Person durfte nicht angesehen werden. Es durfte kein persönlicher Gewinn gemacht werden. Alles musste im Licht des Wortes beurteilt werden. Nie durfte Rücksicht genommen werden auf die Person, weder zum Guten noch zum schlechten.
Wie viel mehr sollten wir Christen uns hüten, in irgendeiner Weise, überstürzt oder ungerecht zu handeln. Generell, aber besonders in der Frage des Binden und Lösens der örtlichen Versammlung. Denn hiermit verbindet sich der Herr im Himmel. Dazu gibt ER seine Bestätigung. Wie ausserordentlich ernst ist es, wenn gehandelt werden muss. Wie absolut wichtig, dass wir gottgemäss handeln und in einer Gesinnung der Demütigung handeln. Wie absolut wichtig auch, dass umliegende Versammlungen nachforschen und darauf bestehen, ein Entschluss zu korrigieren, wenn er ungerecht ist. Sind wir nicht alle fehleranfällig? Sind andere lokale Versammlungen nicht eine "Kontrollinstanz", die wir begrüssen sollten.
Lasst uns auch bedenken, wir leben nicht in der Anfangszeit, die von geistlicher Kraft und Unterscheidungsvermögen gekennzeichnet war. Der Herr machte damals die verkehrten Dinge schnell offenbar. Wir leben in einer Zeit der Lauheit, und der praktische geistliche Zustand der Versammlung ist tief. Wie es so oft ist mit uns Menschen, haben wir die Tendenz, Dinge, die in unserem Leben nicht in Ordnung sind, zu kompensieren mit einem schnellen harten Handeln bei anderen Dingen. Beispiele dazu gibt es genügend im Alten Testament. Dies darf nicht sein in so schwerwiegenden Angelegenheiten wie dem Binden und Lösen der örtlichen Versammlung. Wir müssen unserem Zustand Rechnung tragen, nicht indem wir gar nicht mehr handeln, aber indem wir äusserst zurückhalten sind, geduldig auf den Herrn warten und uns alle sehr, sehr beugen vor dem, der der Richter ist der ganzen Erde und der inmitten der Leuchter wandelt um den Zustand und das Verhalten der Versammlungen zu prüfen!
Lasst uns binden und lösen oder irgendein Urteil fällen als Versammlung, indem wir ausschliesslich gemäss Gottes Wort und in völliger Abhängigkeit handeln. Lass uns sehr Furcht haben vor ungerechten oder ungerechtfertigten Urteilen. Möge der Herr uns in Seinem Erbarmen zu Hilfe kommen.
Urs Hänseler 4/2022